Ursus & Nadeschkin

Tagebuch

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14.03.2008

Im Rausch der Musik

Im Rausch der Musik

(Foto: Bernhard Fuchs Text: Florenz Schaffner)

© Aargauer Zeitung – Kultur

Kongeniale Komik und Klassik

In Basel begeistern Ursus & Nadeschkin mit dem Sinfonieorchester Camerata Schweiz unter Graziella Contratto in einem «Konzerttheater».

Auf dem Weg zur Premiere im Theater Basel erzählt am Dienstagabend ein Orchestermitglied amüsiert über die ersten Proben: Auf allen Vieren seien sie auf dem Boden herumgekrochen und hätten einander angebellt.

Solch unkonventionelle Methoden sind typisch für Regisseur Tom Ryser. Er weiss, wie bei Künstlern Blockaden abgebaut und schlummernde Potenziale geweckt werden können. Seine jüngste Arbeit «Im Orchestergraben» beweist dies eindrücklich: Ernsthafte Musikerinnen und Musiker treffen mit ihrer Dirigentin auf zwei Clowns. Zwei Welten prallen aufeinander: Camerata Schweiz, das Sinfonierorchester, das für seine disziplinierte Arbeit bekannt ist, und Ursus & Nadeschkin, deren ausufernde Dispute seit Jahren Kult sind.

Beethovens «Symphonie Nr. 5» ist angekündigt. Was wird aus dem populären Werk und was aus dem Anfangsmotiv? Ist das ein Comedyabend mit Orchester oder ein Abend klassischer Musik mit Clowneinlagen? Entsprechend durchmischt war das Premierenpublikum. Neben dezent gekleideten Konzertbesuchern sassen junge Comedyfans in Jeans und Turnschuhen im ausverkauften Saal.

Der Abend beginnt ernsthaft-feierlich. Ursus & Nadeschkin, beide im Frack, betreten unsicher und stumm die Bühne. Nach scheuen Versuchen, sich auf Musikerstühle zu setzen, finden sie ihren Platz am Bühnenrand. Es folgt ein klassischer Konzertauftakt unter der souveränen Stabführung von Graziella Contratto. Die Liebhaber klassischer Musik haben es schon vorher gewusst, die Klassiklaien ahnen es nach wenigen Takten: Hier tritt ein Orchester auf, das zu Recht zur Spitzenklasse gezählt wird.

Und die Komiker Ursus & Nadeschkin? Interessiert, aber unauffällig geniessen sie den ersten Satz der populärsten Sinfonie Beethovens. Ihre anfänglich fast demütige Haltung lässt vergessen, dass sie das klassische Stück im Programmheft abschätzig die «tätätätaa-Sinfonie» nennen. Das überraschend lange Schweigen der Schnellredner und ihr ungewohnt inaktives Verhalten bauen unter ihren Fans dramaturgisch geschickt Spannung auf. Diese löst sich überraschend am Schluss des fulminaten ersten Satzes, wenn das Duo begeistert (aber völlig deplatziert) applaudiert. Damit ist auch das humoristische Element des Programms lanciert, in dessen weiterem Verlauf es zu vielen schrägen Ideen und höchst vergnüglichen Interaktionen zwischen Ursus & Nadeschkin, Graziella Contratto und dem Sinfonieorchester kommt.

Der Abend ist eine grosse Bereicherung. Ursus & Nadeschkin zeigen sich erneut von einer unerwarteten, anderen Seite: Sie sind angenehm zurückhaltend, charmant, liebenswert, kindlich naiv und offen für magische Momente. Aber immer Clowns. Die Camerata Schweiz profiliert sich auf eindrückliche Art als präsente, flexible und lustvoll spielende Einheit. Graziella Contratto meistert die schwierigste Aufgabe des Abends souverän: Blitzartig wechselt sie vom anspruchsvollen Dirigieren in humorvolle Szenen und schnelle Dialoge mit den Komikern.

Standing ovations sind bei Premieren nicht immer ein relevantes Qualitätsurteil. In Basel erhob sich am Schluss das Publikum aus dem Klassik- und dem Comedy-Lager aber sekundenschnell und spendete ungewohnt lange Applaus › für beste Unterhaltung auf höchstem Niveau.

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