Ursus & Nadeschkin

Tagebuch

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30.03.2008

Ausflugsziel am Sonntag

Ausflugsziel am Sonntag

Auf einem zufälligen Spaziergang durch das Solothurnische Schweizerland, entdekten wir «General Wille's Haus» am Platz B.

Das herrschaftliche Haus des berühmten Eidgenossen wirkte auf uns kleiner als erwartet.

Dafür war das Besuchen seines Wegweisers eine Reise wert!

17.03.2008

© St.Gallen TV berichtet:

© St.Gallen TV berichtet:

...und wieder ein schöner DOK Beitrag zum «Im Orchester graben»
direkt und brandneu vom St.Gallen TV! Schauen Sie
HIER!

(Foto: Bernhard Fuchs)

16.03.2008

© NZZ am Sonntag - Tipp!

© NZZ am Sonntag - Tipp!

© NZZ am Sonntag

«Tätätätaa»

Sinfonieorchester Camerata Schweiz und Ursus & Nadeschkin: Im Orchester graben. Konzerttheater. Versch. Bühnen in der Schweiz. Regie: Tom Ryser. www.orchestergraben.ch

Die Vereinigung der Künste ist das Dilemma der Kritikerin: Kabarett und Klassik - ein grosser Graben. Ihn zu schliessen, treten Nadja Sieger und Urs Wehrli alias Ursus & Nadeschkin an. Das Komikerduo lässt mit dem Wortspiel im Titel seiner neusten Produktion keine Zweifel offen: Hier wird das Feld der Klassik tüchtig umgegraben. Was darauf zu blühen beginnt, ist Ursus & Nadeschkin at their best. Im Zusammenspiel mit dem zu allem Unfug nach Noten aufgelegten Sinfonieorchester Camerata Schweiz und der Dirigentin Graziella Contratto können die beiden einmal mehr zeigen, wer das Meister-Paar im Stichwortwerfen und -fangen ist. Beethovens 5. Sinfonie ist der Spielball, mit dem die «Botschafter der Musik» jonglieren - und dabei manchmal knapp am Prädikat «pädagogisch wertvoll» vorbeischrammen. Das «Tätätätaa» des ersten Satzes ist so berühmt, warum also nicht rückwärts, in C-Dur oder a cappella, als Kakofonie oder Katzenjammer? Man staunt und lacht und sinniert, weil Clownerie immer auch Nachdenklichkeit in sich trägt. Nadeschkin: «Dur ist, was man will im Leben, und Moll ist, was man kriegt.» Und: «Was ist die Sehnsucht des Musikers? Was ist das perfekte Konzert? Die Stille?» - Wie jede Kunst ist Musik Arbeit, erinnert die als gestrenge Maestra auftretende Contratto einmal in sich gekehrt. Aber sie ist schön! (ruf.)
(Foto: Bernhard Fuchs)

15.03.2008

Zuhören, wie es Beethoven gehört hat

Zuhören, wie es Beethoven gehört hat

Nach zwei wunderbaren Vorstellungen in der Tonhalle St. Gallen hören wir nun für ein paar Wochen nichts mehr von Beethoven.
Wir sind jetzt schon auf Entzug –
und freuen uns auf die Fortsetzung der Tour, am 19. April in Bern.


© St. Galler Tagblatt; 15.03.2008

Klassik meets Komik

«Im Orchester graben» mit Ursus & Nadeschkin in der Tonhalle St. Gallen

Das Komikerpaar Ursus & Nadeschkin erobert in seinem neuen Programm die Klassik und lässt an zwei Abenden in der St. Galler Tonhalle den Taktstock zum Zauberstab mutieren – ziemlich schräg am guten Ton vorbei.

Brigitte Schmid-Gugler
Botschafter der Musik wollen sie sein. Und in dieser Funktion denen, «die mit ohne Konservatorium» zu wenig oder gar nichts von klassischer Musik verstehen, etwas beibringen. Etwas über das Wesen der Musik, der Verbindung zwischen Ur- und Dur-Knall. Und natürlich darüber, was Beethoven sagen wollte mit seiner berühmten «Tätätätaa»-Sinfonie.

In gelbem und weissem Fräcklein mischen sie das klassische Schwarz auf der Konzertbühne schon mal farblich auf und gleich auch dilettantisch: mit ihrem Applaus nach dem ersten Satz. Frau Maestro ist erzürnt, mehr noch, sie findet es den Gipfel von Unverschämtheit, ihr herrlich eingestrichenes und -geblasenes Konzert mit Applaus zu unterbrechen.

Applaudieren darf man dagegen bei ihrem Auftritt. Schwarz befrackt auch sie, ganz «la Maestro», wie sie sich selber nennt, die, wie sie später bekennen muss, zwar über Autorität in ihrem Orchester verfügt, dafür dort aber keine Freunde hat. An diesem Punkt ist die Geschichte auf der Bühne aber ohnehin schon ziemlich aus dem Ruder gelaufen.

Kopf- und andere Sätze

Die erste aller ersten Geigen hatte den Ton perfekt an- und weitergegeben; der erste Satz wuchs zum Hörgenuss – welch intensive thematische Arbeit, welch kühne Motive! Die Dirigentin mit vollem Körpereinsatz dabei, den rechten Arm bei jedem Crescendo zu einer in tiefste Tiefen grabenden Schaufel geschwungen. Doch dann dieser Applaus des nervös sich reckenden gelben Vogelhalses und seines Kompagnons, der weissen – nennen wir ihn Taube. «Haltet euch raus», ist nur einer von zahllosen, nicht befolgten Befehlen der Dirigentin. Die beiden Oberclowns sind mitten drin im Umschichten von orchestralen Gesetzmässigkeiten, verheddern sich in ihrem musikalischen Scheinwissen, stolpern über Kopf- und andere Sätze.

Das 1987 gegründete Duo bereichert sein Repertoire mit dem Auftritt im Konzertsaal um eine weitere Perle. Was in früheren Programmen gelegentlich fast zu viel der Komik war, weil auf die beiden reduziert, ist inmitten des fast 40köpfigen Orchesters mit feinster Gestik proportional angenehm gestreut.

Die Fünfte von hinten

Die Musikerinnen und Musiker des Sinfonieorchesters Camerata Schweiz sind Teil des Klamauks, sie antworten auf die Wort- und Klangspiele des Komikerpaars nicht nur mit Kostproben ihres musikalisch hochstehenden Zusammenspiels, sondern auch mit darstellerischer Flexibilität. Sie wechseln ihre Plätze, stimmen einen Sprechgesang an, spielen mit vertauschten Notenblättern, Beethovens 5. einmal tonlos und in C-Dur sowie von hinten gelesen.

Allen voran hat die Leiterin des Orchesters, Graziella Contratto, neben ihrem musikalischen Einsatz ein Faible für die Schauspielerei. Unangestrengt switcht die frühere Konzertpianistin, Kammermusikerin, Dozentin für Musikgeschichte und Leiterin des Orchestre des Pays de Savoie zwischen Bandleaderin, Keyboard, Choreographie und Klassik.

Die gutbesuchte Vorstellung von «Im Orchester graben» (Regie Tom Ryser) endet klassisch: mit Standing Ovations.

(Foto: Bernhard Fuchs)

15.03.2008

© BUND Samstagsinterview

© BUND Samstagsinterview

(Foto: Bernhard Fuchs)

© Der Bund, Graziella Contratto
«So hat man die ,Fünfte‘ sicher noch nie gehört»

Zusammen mit Ursus und Nadeschkin ist die Schweizer Dirigentin Graziella Contratto momentan auf Tournee mit «Im Orchester graben». «Frauen stellen sich dauernd infrage», sagt Contratto, das sei ein Grund, weshalb es so wenige Dirigentinnen gebe. An ihrem Beruf interessiere sie die «gemeinsame musikalische Machterfahrung».
Interview: Rudolf burger, Marianne Mühlemann

«Bund»:
Frau Contratto, Sie führen momentan Beethovens «Fünfte» zusammen mit Ursus und Nadeschkin auf. Ist das eine Mischung aus Klassik und Klamauk?

Graziella Contratto: Nein, Ursus und Nadeschkin machen nicht Klamauk. Die beiden räumen das Orchester auf.

War die Zusammenarbeit mit Ursus und Nadeschkin Ihre Idee?

Eigentlich ja, inspiriert von Urs (Ursus) Wehrlis Büchlein zum Thema «Kunst aufräumen». Darin hat mir der feine Humor gefallen, die irgendwie schweizerische Leidenschaft für Ordnung.

Ist das Programm eine Kritik am zu steifen und zu ernsten klassischen Konzertbetrieb?

Ich sehe es weniger als Kritik denn als Hilfestellung. Seit rund zwanzig Jahren verliert der Klassikbetrieb an Publikum, insbesondere bei der jungen Generation. Als klassischer Musiker muss man sich heute überlegen, was man dagegen tun kann, ohne das Gesicht zu verlieren.

Ist das Ihr Hauptmotiv – junge Leute an die klassische Musik heranziehen?

Unter anderem! Am liebsten möchte ich, dass jeder Zuhörer sich selbst besser kennt, nachdem er ein Konzert miterlebt hat. Wenn man die Reaktionen beim Publikum anschaut, ist dies gelungen.

Welche Werte wollen Sie durch die klassische Musik vermitteln?

Menschliche, alte, uncoole Werte. Aber leichtfüssig vermitteln muss man sie eben doch. Wir haben für das Programm mit Ursus und Nadeschkin Beethovens «Fünfte» ausgewählt, weil es ein Werk ist, das viele kennen und das für den Dekonstruktionsprozess, den wir durchleben, geeignet ist. Der erste Satz ist von einer geradezu granitenen Stärke. Wenn man damit experimentiert, was wir im zweiten Teil des Spektakels tun, hält er das aus.

Sie haben einmal erklärt, wir seien immer noch verliebt in ein 200 Jahre altes Repertoire. Nun bringen Sie Beethovens «Fünfte» auf die Bühne, ein Werk, das genau 200 Jahre alt ist. Das ist doch ein Widerspruch.

Es ist kein Widerspruch, weil wir im Experimentalteil sehr weit gehen. Ursus und Nadeschkin teilen mit uns die Bühne. Das Publikum ahnt, dass es kein normales klassisches Konzert erleben wird. Eine Qualität des Duos ist es, dass es immer wieder Fragen stellt, es sind sozusagen philosophische Clowns. Durch ihre kindlichen Zweifel werden wir mit unseren klaren klassischen Regeln und unserem Hörempfinden total in Frage gestellt. So hat man die «Fünfte» sicher noch nie gehört.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sie vor Publikum experimentieren. Sie hatten auch schon Jodler in Ihrem Programm.

Genau. Und nicht etwa irgendeinen «Zogenam Bogä»-Jodler, sondern die international anerkannte Naturjodlerin Nadja Räss, die mit meinem französischen Orchester als Solistin auftrat und das Publikum als Vocal Coach zum Jodeln verführte. Der Dirigent ist heute nicht mehr der abgehobene Interpretationszauberer – es ist toll, wenn er das auch noch ist –, aber viel wichtiger ist es, Musik zu vermitteln, ohne das unvorbereitete Publikum zu überfordern. Das Publikum soll nicht das Gefühl haben, Musik zu hören, die es emotional oder intellektuell nichts angeht, oder dass es schön angezogen sein oder zur High Society gehören muss, um dabei zu sein.

Als Dirigentin sind Sie eine Ausnahmeerscheinung in einer immer noch von Männern dominierten Domäne. Wieso gibt es so wenige Dirigentinnen?

Zu einem Teil sind wir Frauen wohl selber schuld – ich weiss, das ist nicht gerade ein feministischer Ansatz, aber Frauen stellen sich dauernd infrage. Wenn man als Dirigentin einen Einsatz dirigiert, dann darf man alles, nur nicht sich selbst infrage stellen. Wenn man den Einsatz nicht mit voller, fast möchte ich sagen: viriler Überzeugung gibt, hat man irgendwann ein Problem. Ich habe Dirigenten zuweilen für ihre Klarheit und Unerbittlichkeit beim Dirigieren beneidet. Das hat mir lange gefehlt, weil ich eher harmoniebedürftig war.

Sie waren ursprünglich Konzertpianistin. Wie kamen Sie auf die Idee, die Dirigentenlaufbahn einzuschlagen?

Ich habe neben dem Klavierstudium auch Musiktheorie studiert und liebte Fächer wie Formanalyse, Harmonielehre und Musikphilosophie. Während meiner Proben als Kammermusikerin kam es zudem immer häufiger vor, dass ich die Probenleitung übernahm. Daraus entstand der Wunsch zu dirigieren. Ich spürte darin eine grosse körperliche Herausforderung, da ich bis dahin immer etwas kopflastig gewesen war. Als Pianistin hatte ich auch das Gefühl, zu sehr vom Instrument abhängig zu sein.

Und als Pianistin waren Sie eine unter vielen.

Ja, mit dem Mauerfall Anfang der 90er-Jahre kamen viele Pianistinnen und Pianisten aus dem Osten. Leute, die eine phänomenale Technik mitbrachten, weil sie in Spezialschulen schon als Dreijährige aussortiert worden waren. Als diese Pianisten die Schweiz überfluteten, musste ich erkennen, dass ich technisch mindestens sechs, sieben Jahre Rückstand hatte. Dafür hatte meine Musikalität etwas natürlich Gewachsenes.

Kann man als Dirigentin Machtgelüste ausleben?

Diese Frage wird mir immer wieder gestellt, das Klischee von Dirigieren und Macht steckt in den Köpfen. Elias Canetti hat den Dirigenten sogar als Machtsymbol schlechthin bezeichnet. Mich interessiert gewöhnliche Macht nicht, ich finde es langweilig, wenn jemand etwas tut, weil ich es ihm befohlen habe. Es ist aber toll, wenn man zusammen im richtigen Moment spürt, dass man die gleichen Emotionen für einen musikalischen Prozess findet. Diese gemeinsame musikalische Machterfahrung interessiert mich. Auch wenn ich als Dirigentin führungsstark sein muss.

Sie verstehen sich als Dirigentin also eher als Teamplayerin?

Es gibt diesen berühmten Begriff Primus inter Pares, so versteht sich der Bundespräsident im Bundesrat. Diese Definition passt für mich, Prima inter Pares.

Was macht eine Dirigentin anders als ein Dirigent?

Was soll ich sagen – Männer haben beim Dirigieren physisch die richtigen Proportionen. Sie haben eine schöne Armform, etwas Muskeln...

...und häufig Bäuche.

Bäuche wirken als Resonanzkörper, die haben mich nie gestört. Ich dagegen bin gross und schlank und habe lange Arme. Ich musste einen Prozess durchmachen, bis ich merkte, wie ich mich als Dirigentin in meinen eigenen Bewegungsabläufen wiederfinden konnte. Bewegungen, die Klarheit ausdrücken und als musikalische Kalligrafie lesbar sind. Ich musste herausfinden, wie ich meine Körperlichkeit trainieren konnte, ohne weibisch oder kitschig zu wirken. Das hat Zeit gebraucht.

Stundenlang zu dirigieren, bedeutet auch höchste körperliche Anstrengung. Wie halten Sie sich fit?

Ich bin komischerweise nie schlapp nach den Konzerten. Müde machen mich Proben mit einem Orchester, das Mühe hat, sich zu öffnen. Anstrengend finde ich auch, wenn ich weibliche Mittel einsetzen muss wie Charme oder irgendwelche läppischen Überzeugungstricks, damit ich die Leute so weit bekomme, dass sie an der vorderen Stuhlkante sitzen. Bei den Berliner Philharmonikern gehört das zum Spielethos. Die lehnen sich beim Spielen nie zurück.

In der Arena Avenches dirigieren Sie diesen Sommer als erste Frau überhaupt. Gespielt wird Verdis «La Traviata». Im Freien wird möglicherweise auch das Wetter zu einer körperlichen Herausforderung.

«La Traviata» liebe ich sehr, nicht nur, weil es eine Frauenoper ist. Es ist ein Werk, in dem die Handlung gleichsam nach innen projiziert wird. Da die Aufführung im Freien stattfindet und die grosse äussere Geste fehlt, muss man die ganze Intensität in den Orchesterklang hineinbringen. Daran werde ich arbeiten.

Sie spielen in Avenches mit der Camerata Schweiz. Chefdirigentin sind Sie beim Orchestre des Pays de Savoie...

...im Dezember läuft der Vertrag in Frankreich aus, nach sechs Jahren künstlerischer Leitung. Ich würde nun gerne eine neue Herausforderung annehmen.

Ist es Ihr Ziel, einmal eines der ganz grossen Orchester der Welt zu führen?

Ich habe bei den Berliner Philharmonikern als musikalische Assistentin zwischen 1998 und 2000 immerhin bereits Proben leiten dürfen. Aber Orchester mit einer derartigen Tradition haben eine Klangkultur, bei der man als junger Dirigent nichts Revolutionäres bewirken kann. Natürlich wäre es schön, die Wiener zu dirigieren. Sie kennen aber den Witz: Ein Musiker der Wiener Philharmoniker wird gefragt, was denn der Dirigent dirigieren werde. Er antwortet: «Was unser Dirigent dirigiert, weiss ich nicht, aber wir spielen Beethovens Dritte.» Das ist ziemlich realistisch.

Das heisst, die Strukturen sind in solchen Orchestern festgefahren?

Das Problem ist, dass es sich beim Klassikbetrieb um eine klar definierte Kultur handelt. Um wirklich etwas zu verändern, muss man, überspitzt gesagt, entweder ein Dirigent unter zwanzig mit wilder Frisur sein oder uralt mit einem Idealisierungsschub.

Haben Sie ein Traumorchester, das Sie gerne dirigieren würden?

Es gibt viele hervorragende Orchester, zum Beispiel das Tonhalle-Orchester Zürich, das ich mehrmals dirigieren durfte. Ein fantastisches Orchester, das beides mitbringt, hohes Niveau und Offenheit.

Dann haben Sie sich beworben für die Nachfolge von David Zinman, der zurücktritt?

Nein. Als junger Schweizer Dirigent hat man praktisch keine Chance, bei einem besseren Orchester eine feste Stelle zu bekommen. Ich habe in den letzten 15 Jahren im Ausland gearbeitet und nicht an den schlechtesten Adressen, aber das genügt nicht für ein Schweizer Orchester.

Das bekannte Problem des Propheten, der im eigenen Land nichts gilt?

Ich gelte schon etwas im eigenen Land. Am Radio zum Beispiel, dank der Diskothek im Zwei oder seit kurzem bei einem breiten Publikum, dank Ursus und Nadeschkin. Ich gelte wahrscheinlich als eine, die lustige Ideen hat. Ich bin deswegen kein unglücklicher Mensch.

Teilen Sie die Meinung, dass heutige zeitgenössische Musik in 200 Jahren nicht mehr gespielt wird, Beethoven aber immer

noch?

Möglich, dass Sie Recht haben. Das könnte damit zu tun haben, dass Komponisten von heute extrem individualistisch arbeiten. Jeder hat sein eigenes musikalisches Bild, seine ideologische Vorstellung, die er verfolgt. Es fehlt ein Gesamtgeist. Zur Zeit von Beethoven, unmittelbar nach der Französischen Revolution, war ganz Europa inspiriert von ähnlichem Gedankengut, viele Komponisten vertraten eine ähnliche ästhetische Position. Die zeitgenössischen Komponisten, die bleiben werden, sind meiner Meinung nach jene, die einen Gedanken von globaler, übergeordneter Dimension in ihrer Musik vermitteln.

Musik mit Wiedererkennungseffekt. Wieso hat der Konzertbesucher Mühe mit Unbekanntem?

Warum schaut man immer noch gerne einen Botticelli an, oder die Sixtinische Kapelle? Hier waren Genies am Werk, die einen zutiefst humanen, neuralgischen Punkt trafen. Diese Genies gibt es auch in der neuen Musik. Es sind nicht alles Monster, die neue Musik komponieren, sie haben auch eine Seele. Aber in den 1960er- bis 1980er-Jahren wurde da ziemlich gesündigt. Damals wurde die neue Musik als Publikumsbeschimpfung konzipiert und auch so verstanden. Man warf sie den Zuhörenden vor, ohne Erklärung, ohne Vermittlung, ohne Integration.

Sie sind bekannt und dennoch nicht im europäischen Dirigentinnenreader www.dirigentinnen.de aufgeführt. Warum eigentlich?

Ich weiss nicht. Aber ich habe es auf eine Homepage «beauty in music» geschafft (lacht). Aber das ist wohl eine recht amerikanische Website.

Nützt es einer Dirigentin im Klassikbetrieb, wenn sie attraktiv ist?

Danke für das Kompliment, das weiss man ab 40 zu schätzen. Wenn eine gute Ausstrahlung etwas bringt in dem Sinn, dass man neue Sponsoren findet oder das Publikum für sich gewinnt, ist das nichts Schlechtes. Charisma steht aber immer über der Schönheit, sorry, Heidi Klum.

Als Schweizer Dirigentin haben Sie schon vieles erreicht. Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Ein Traumprojekt seit vielen Jahren ist das Wagner-Schiff auf dem Vierwaldstättersee. Der Märchenkönig Ludwig II. von Bayern war bekanntlich der grosse Mäzen Richard Wagners. Er besuchte ihn oft in Tribschen bei Luzern, wo heute das Richard-Wagner-Museum steht. Wagner und Ludwig hatten die Idee, am Vierwaldstättersee ein Opernhaus zu gründen. Ich möchte die Idee mit einem Opernschiff aufnehmen. Ich stelle mir das so vor, dass das Publikum zum Beispiel bei Flüelen einsteigt und dann den ersten Akt aus «Tristan» hört, danach kommt Vitznau und man gelangt schliesslich nach Tribschen. Auf dem Schiff wird es Platz für ein Orchester, Sänger und das Publikum haben.

Wie weit ist das Projekt?

Noch ist das Ganze nicht geboren. Doch ich habe bereits eine Fernsehcrew aus Berlin, die bereit ist, eine Dokumentation zu filmen, wenn das Projekt zustande kommt. Nächstes Jahr, wenn ich etwas mehr Zeit habe, werde ich mich intensiver darum kümmern, auch um die Sponsorensuche.

Haben Sie keine Angst, sich mit zu vielen Projekten zu verzetteln?

Das ist eine Gefahr. Vielseitigkeit entspricht meiner Veranlagung. Bisher habe ich ein Gleichgewicht halten können. Die Zusammenarbeit mit Ursus und Nadeschkin ist ja nicht eingleisig, sondern eine fast literarisch-schauspielerische Zusammenarbeit, als Dirigentin bin ich gefordert, eine Rolle zu spielen. Seit ich 40 bin, betrachte ich alle Erfahrungen als Vorteil, als Kapital. Vorher gab es Zeiten, wo ich Angst hatte, zu viel zu machen. Für eine steile Dirigierkarriere, wie sie etwa ein Gustavo Dudamel derzeit macht, hätte ich mich wohl immer nur aufs Dirigieren konzentrieren müssen.

Das wollen und wollten Sie nicht?

Viele Erfahrungen machen ein Leben reich. Und erst dieser innere Reichtum macht einen zum reichen Interpreten. Ein Dirigent zu sein, der einfach seine Partitur studiert, im Zug oder in der Limousine, und dabei von Jetlag zu Jetlag eilt – ich bezweifle, dass das für die menschliche Entwicklung viel bringt. Es ist toll, wenn man als Dirigent mit 17 bereits eine geniale Ausstrahlung hat. Aber man muss lernen, älter zu werden. Ich dirigiere heute besser, unter anderem, weil ich mehr weiss vom Leben.

Ist der Entscheid, eine Dirigentinnenlaufbahn anzutreten, gekoppelt mit dem Entscheid, auf ein Privatleben, zum Beispiel mit eigenen Kindern, zu verzichten?

Mein langjähriger Partner hat einen Sohn aus erster Ehe. Ich habe also eine Art Familie und eine Art Sohn. Toll ist das. Ein kleiner Franzose. Ich denke, bei mir sind genügend italienische Gene vorhanden, um eine stattliche Mama abzugeben.

Haben Sie neben der Musik auch Freizeit?

Ich bin eine grosse Literaturliebhaberin, ein «Dr. House»-Fan, und ich lese regelmässig auch die Boulevardpresse. Fragen Sie mich mal was über Amy oder Britney oder Orlando.

Ihr Tag hat folglich mehr als 24 Stunden?

Im Moment mindestens 28. Sie werden es auf den Fotos erkennen.

www.ebund.ch/samstagsinterview


GRAZIELLA CONTRATTO
Graziella Contratto, Jahrgang 1966, ist in Schwyz aufgewachsen. Sie besuchte die Töchternschule im Theresianum Ingenbohl und danach die Konservatorien in Luzern und Winterthur. 1992 schloss sie mit der Konzertreife ab. Ein Jahr zuvor begann sie in Zürich und Basel ein Studium der Musiktheorie und bildete sich zur Kapellmeisterin aus. Danach dirigierte sie verschiedene Orchester, u.a. das Uni-Orchester in Freiburg im Breisgau. Von 1998 bis 2000 war Contratto unter Claudio Abbado musikalische Assistentin bei den Berliner Philharmonikern, von 2000 bis 2002 Chef résident beim Orchestre National de Lyon. Seit 2003 ist sie als erste Frau, die in Frankreich ein staatliches Orchester leitet, Chefdirigentin des Orchestre des Pays de Savoie. Seit 2007 wirkt sie auch als Intendantin beim Davos Festival «young artists in concert». Am 19. und 20. April ist sie mit Ursus und Nadeschkin im Kultur-Casino Bern mit «Im Orchester graben» zu sehen, am 4., 5. und 9. Juli in der Arena Avenches mit Verdis «La Traviata». Graziella Contratto wohnt in Lyon.
(mks/bur)